Wenn sich das Hirn autonom macht
Neulich lag ich stundenlang hellwach im Bett und übte mich im regelmässigen Liegeseitenwechsel ohne meine Frau nebenan zu wecken. Rund drei Stunden lang konnte ich nicht einschlafen. Wieso? Keine Ahnung. Drei Stunden ist eine lange Zeit. Natürlich redet man sich zu Beginn der Wachphase laufend ein man müsse jetzt einschlafen, schliesslich sei morgen wieder ein normaler Arbeitstag. Irgendwann gibt man auf und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Im Vergleich zu den vergangenen knapp drei Monaten habe ich eigentlich gar nichts mehr Besonderes zu studieren und doch schwirrten mir strube Gedanken durch die Hirnwindungen.
So fragte ich mich, ob man sich mit seinen Kindern derart verkrachen kann, dass man sich von ihnen lossagt und nichts mehr mit ihnen zu tun haben will. Quasi den Kindern einen Brief oder heutzutage vielleicht eher eine Mail schreibt, in welcher man ihnen mitteilt, dass man sich dazu entschlossen habe, ab sofort keine Kinder mehr zu haben. Für mich als Vater eine unvorstellbare Situation und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass ich niemals zu so etwas im Stande sein werde. Ja stimmt schon, man sollte niemals nie sagen. Da gibt's zum Beispiel Eltern, aus deren Kindern Serien- oder Massenmörder, Vergewaltiger oder sonstige Gräueltäter geworden sind. Ich bin davon überzeugt, dass uns unsere Kids dieses Szenario ersparen, sonst müsste ich wohl nochmals über die Bücher gehen. Gehen wir aber vom Normalfall aus und stellen uns die Frage: Darf man als Mutter oder Vater seine Kinder verstossen und wenn's gemacht wird, welche Voraussetzungen braucht es dazu? Rechtlich gesehen ist das wohl nicht erlaubt, weiss ich aber nicht wirklich, interessiert mich aber auch nicht brennend. Was muss mit einem Elternteil passieren, dass man nichts mehr mit seinen Kindern zu tun haben will, mit ihnen keinen Kontakt mehr haben und sie nie mehr sehen will? Gibt's doch gar nicht, ist wohl die meistgenannte Antwort darauf. Doch, das gibt es. Wie bereits gesagt, ist das für mich schlicht unvorstellbar. Ich liebe meine Kinder über alles und ich stehe zu allem, was sie anstellen. Sollte ihr Bestreben eines Tages wider Erwarten gegen mich gerichtet sein, werde ich versuchen, die Dinge auch aus ihrer Sicht anzuschauen und ihre Gedankengänge zu verstehen. Niemals jedoch werde ich sie verstossen und niemals könnte ich mir ein Leben ohne Kontakt zu meinen Kindern vorstellen.
Wie fertig muss man mit sich und seinem Leben also sein, dass man so etwas ohne Rücksicht auf Verluste und vor allem auf die Gefühle aller Beteiligten, wie auch Schwiegertöchter- oder Söhne, Enkelkinder, Partner und vielen mehr, von einem Tag auf den anderen machen kann? Ich glaube, man muss schon vorher über Jahre hinweg einen schlechten Draht zu seinen Kindern gehabt haben. Stichwort Scheidungskinder. Man hat seine Kinder nie wirklich geliebt, man ist nicht für sie dagewesen, man hat sich nie um sie gekümmert, man ist im schlimmsten Fall nicht mal finanziell für sie aufgekommen. Man muss schlicht unfähig gewesen sein, ein Elternteil zu sein. Ich gehe sogar soweit, dass diese Kinder niemals gewollt waren. Genau, nur so kann man sich ein solch niederes Verhalten erklären. Man wollte das Kind gar nie und dann kommt irgendwann ein Fünkchen, welches das Pulverfass zum Explodieren bringt und man entledigt sich mal eben schnell per Mail vom überflüssigen Ballast.
Wie das wohl die betroffenen Kinder empfinden? Hmm, wenn meine Annahme von oben zutrifft, dann hat auch das Kind zwangsläufig den Kontakt zum Elternteil auf Sparflamme gehalten und verliert dann wohl etwas, was es gar nie hatte. Somit ändert sich für das Kind eigentlich nichts und es wird sich sehr schnell mit der nicht wirklich neuen Situation abfinden. Vielleicht mag es dem Kind für seine eigenen Kinder leidtun, welche einen Teil der Grosseltern verloren haben. Aber wenn auch sie nicht viel von deren Existenz mitbekommen haben, werden auch sie nichts verlieren und gut damit leben können.
Wie aber geht es dem Elternteil, nach einer solch unmenschlichen, sicherlich unüberlegten und einfach nur dummen Aktion? Hat der- oder diejenige vergessen, dass zum Kinder auf die Welt stellen auch eine sogenannte Fürsorgepflicht besteht? Weiss er/sie, dass Kinder geliebt werden wollen? Alles kann ersetzt werden, nicht aber Kinder oder Eltern. Die bleiben einem bis ans Lebensende erhalten. Ich weiss nicht, was in so einem Kopf vorgeht. Eigentlich interessiert es mich auch nicht. Im Gegenteil, es widersteht mir richtiggehend. Wer so etwas tut, hat keine Ahnung, was er den Kindern antut und in deren Umfeld anrichtet. So jemand soll in der Hölle schmoren und bis ans Lebensende an diesem Entscheid zu knabbern haben. Er/sie hat nichts anderes verdient.
Tja, wenn man nicht schlafen kann, beginnt sich das Hirn irgendwann autonom zu machen...